Carl Gustav Jung unternahm den Versuch, "verstehen und lieben" zu verbinden. Sein analytischer Weg will die individuelle Herausarbeitung des Menschen aus dem Kausalen, aus den Reglements des Kollektivismus, der die Gemeinsamkeit aller Menschen betont. Wir spüren deutlich Freuds Kausalismus, der bei Jung noch genetische Bedingungen für Anteile an der Psyche, inhaltlich weitervererbbare Erfahrungen, als Zusatz erhält, und Adlers Finalismus bei der Zielgerichtetheit der Individuation. Jungs Versuch, "lieben und verstehen" zu verbinden, scheitert an der Moralisierung der Sinnfrage. Das Soll wird zur Pflicht; er ersetzt das Reglement des kollektiven Unterbewussten durch kontrollierbare und geregelte Ichwerdung.
Sein Verdienst ist vor allem, gezeigt zu haben, dass es möglich ist, das Zusammentreffen von "lieben und verstehen" als unmöglich zu denken, die Erfahrung zu verhindern. Jung behauptet auf Grund seiner Erfahrungen, dass das Urbild, der Archetyp, z.B. der Archetyp des weisen Vaters und der Archetyp der allliebenden Mutter sich gegenseitig abstoßen. Er ist damit der erste, dem greifbar nahe war, zu erkennen und zu beschreiben, dass der Mensch nichts so sehr fürchtet wie das, wonach er sich sehnt, eben nach der Erfahrung der geglückten Begegnung von "lieben und verstehen".